Carpentras, September 2024 – ein Reisetagebuch

Im November 2023 hatte Christian Barry, der Vorsitzende der deutsch-französischen Gesellschaft in Carpentras, kurz „ACFA“ genannt, den „Club Carpentras“ zur Fête de Patrimoine in das nur wenige Kilometer südlich von unserer französischen Partnerstadt gelegene Pernes-les-Fontaines eingeladen. Der Club Carpentras nahm die Einladung dankbar an. Bot sich doch die Gelegenheit die Menschen der Provence, ihre Heimat, Geschichte, Kultur und ihre Traditionen besser kennen zu lernen. Das erklärte Ziel unserer Partnerschaften ist es Verständnis füreinander zu entwickeln. Feste wie unser Sehusafest oder die Fête de Patrimoine in Frankreich, sind gute Gelegenheiten die deutsch-französische Freundschaft erlebbar zu machen und in die Breite der Bevölkerung zu tragen. Hier verbinden sich Lerninhalte mit den Spaßfaktoren die gemeinsames Erkunden und Entdecken mit sich bringen. Wir kommen uns zwangsläufig und auf vielfältige Weise näher.

Und so fanden sich Freitag, den 20. September, vormittags um 10:00Uhr siebzehn Mitglieder des Club Carpentras auf dem ICE-Bahnsteig des Göttinger Bahnhofs wieder.  Reiseziel Avignon.  Wir waren mit der Regionalbahn von Seesen nach Göttingen gefahren. Nun sollte es mit dem ICE nach Mannheim und von dort mit dem französischen TGV weiter nach Avignon gehen.

Dabei hatte es durchaus etwas Symbolträchtiges an sich, als wir da so auf dem Göttinger Bahnsteig standen. Der Name Göttingen ist für die meisten Franzosen ein Begriff. Hier in Göttingen hatte vor 60 Jahren die französische Sängerin Barbara ihr berühmtes Chanson mit dem Titel „Göttingen“, eine zarte Liebeserklärung an diese Stadt an der Leine geschrieben, was im Sommer 1962, keine 20 Jahre nach Krieg und NAZI-Terror, noch immer keine Selbstverständlichkeit war. Das Chanson wurde zum „Soundtrack“, der heimlichen Hymne der deutsch-französischen Aussöhnung und dem Beginn der „l‘Amitié Franco-Allemande“, der deutsch-französischen Freundschaft“.

Da standen wir also nun auf dem Bahnsteig; altgediente Veteranen unserer Partnerschaft, die von Anfang an dabei waren, neben Neulingen ohne große Frankreich Erfahrung, die noch nie im Leben in Carpentras gewesen waren, alle in gespannter Erwartungshaltung: was würden uns die kommenden Tage bescheren? Welche Erlebnisse und Eindrücke würden auf uns zukommen? Das fing schon mit der einfachen Frage an, ob man solch eine lange Reise zurzeit überhaupt mit der Bahn wagen könne? Doch soviel sei schon vorweg verraten, gegen alle Bedenken und allen Unkenrufe zum Trotz haben sämtliche Bahnfahrten vorzüglich geklappt und auch der Aufenthalt bei unseren Freunden in Carpentras hat alle Erwartungen in jeder Hinsicht weit übertroffen. Schon an dieser Stelle erst einmal ein großes „merci beaucoup“ - einen herzlichen Dank - an unsere Freunde und an die Deutsche Bahn.

Am Bahnhof Avignon wartete schon unser Gastgeber Christian Barry mit einem Bus auf uns und so gegen 22:00 Uhr hatten wir dann Carpentras erreicht.

Samstag, 21. September, schon um 9:00 Uhr hatten wir einen Termin im „Hôtel de Ville“,  dem Rathaus, wo uns Serge Andrieu, der Bürgermeister von Carpentras, persönlich begrüßte. Anschließend ging es quer durch die Stadt zur „l‘Inguimbertine“, dem einzigen Bibliotheks-Museum Frankreichs und aktuellem Stolz der Stadt. Es ist zusammen mit der Stadtbücherei im ehemaligen, historischem Krankenhaus von Carpentras untergebracht. Dieser Umbau vom Krankenhaus zum Kulturzentrum hat bei der Umgestaltung von unserem Jacobsonhaus Pate gestanden. Leider blieb dieser Spaziergang der einzige Kontakt zur Stadt selbst, das vielfältige und reiche Programm ließ uns einfach weder Raum noch Zeit.

Im Anschluss nach der Besichtigung waren wir in der Tourismus Information zu einem Apéritif eingeladen. Es war Mittagszeit und da kamen die angebotene Wurst und Käse Spezialitäten begleitet von ausgezeichneten Weinen der „Côtes du Rhône“, gerade recht.

Am Nachmittag ging es per Bus durch den Naturpark auf den 1912m hohen Mont Ventoux, den die ganze Gegend beherrschenden Hausberg von Carpentras. Allerdings nicht ohne vorher in der Winzergenossenschaft Bedoin die Gelegenheit zu einer kleinen Weinprobe zu nutzen. Auf kleinen, romantischen Straßen ging es dann mit einem Halt hier oder dort nach Beaumes-de-Venise, wo ein gemeinsames Abendessen den Tagesabschluss bildete.

Für den größten Teil der Gruppe war es der erste Kontakt mit der leichten, französischen Lebensweise, dem berühmten „savoir vivre“.

Sonntag, 22. September, die Fête de Patrimoine.

Es ist, wie es in Pernes-les-Fontaines heißt, ein Fest von allen für alle. Die ganze Stadt scheint auf den Beinen zu sein und mit ihr Tausende von Besuchern. Der ganze Ort ist heute Bühne für eine Zeitreise durch die vergangenen 150 Jahre. Die meisten Menschen sind in provenzalische Trachten oder nach dem letzten Schrei der Mode von Anno dazumal gekleidet. In den Straßen fahren ausschließlich Jahrzehnte alte Fahrzeuge; Autos, Motorräder und Fahrräder. Handwerker demonstrieren das das Können ihrer Vorväter und auf den Tennisplätzen wird mit Schlägern und Sportkleidung aus den 30er Jahren gespielt.

In allen Straßen und auf allen Plätzen gibt es zahlreiche Vorführungen und Animationen.

Es ist eine Art Sehusafest der Superlative. Dann ein Höhepunkt, das gemeinsames Mittag Essen unter dem Motto: Verpasst nicht die Gelegenheit euch zusammen an einem Tisch zu versammeln. Gereicht wurde eine traditionelle, ländliche Mahlzeit, bei der zwar nicht Wildschwein, aber die „Soupe d‘épautre“, eine Art Risotto aus Dinkel, im Mittelpunkt steht. Der Dinkel gehört seit Jahrhunderten untrennbar zur Region. Alles in Pernes-les-Fontaines lädt heute zum Entdecken, Mitmachen und Genießen ein.

Montag, 23. September. Heute geht es nach Aix-en-Provence, der Hauptstadt der Provence und ein wunderschöner, geschichtsträchtiger Ort in dem es viel zu bestaunen und entdecken gibt. Außerdem ist es der Geburtsort des bedeutenden Malers Paul Cézanne. Im Lauf seines Lebens entwickelte sich Cézanne zum Wegbereiter der modernen Malerei, insbesondere des Kubismus. Was für den Impressionisten Claude Monet sein Seerosenteich in Giverny war, wurde der Berg Sainte-Victoire bei Aix-en-Provence für Cézanne. Der Spaziergang zu dem Aussichtspunkt an dem Cézanne immer wieder den Sainte-Victoire malte gehört in die lange Reihe der unvergesslichen Augenblicke auf dieser Reise.

Zu den unbekannten Kostbarkeiten des Programms zählt aber ebenfalls der Besuch der „Bastide Mignarde“, einem schlossähnlichen Herrensitz in der Nähe von Aix-en-Provence, in dem Pauline Bonaparte, 1807 eine ihrer Affairen erlebte. Mignardes sind aber auch köstliche, kleine Kuchen, die man zu einer Tasse Kaffee genießt. Ein Konditor, der mit diesen Mignardes zu Geld gekommen war, hatte das Anwesen gekauft und ihm diesen überaus treffenden Namen gegeben. Die Führung durch Haus und Garten übernahm kenntnisreich und mit Hingabe die Besitzerin persönlich.

Zum Abendessen waren wir in Carpentras vom Comité de Jumelage in die „Roserai“ einer schlossähnlichen Villa eingeladen. Dieses Komitee ist für alle Städtepartnerschaften der Stadt zuständig, nicht nur für Seesen. Der Vorsitzende des Komitees, Robert Ascheri ist vielen Seesenern vom Sehusafest her bestens bekannt. Wie bei all unseren Kontakten auf der Reise herrschte auch an diesem Abend ein zahlenmäßig ausgewogenes Verhältnis. Beeindruckend war die ungezwungen, herzliche Atmosphäre, die von Beginn an herrschte, obwohl sich die meisten Teilnehmer bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal sahen.

Das Essen bildete den krönenden Abschluss eines wunderbaren Tages.

Dienstag, 24. September, Cassis, die Steilküsten der Calanques und die Welt von Marcel Pagnol in Aubagne und Umgebung.

An unserem letzten Tag in Carpentras mussten wir früh losfahren. Die Fahrt ging schließlich an die Mittelmeer Küste. Hier, von dem kleinen, ehemaligen Fischerdorf Cassis aus wollten wir unsere Bootsfahrt entlang der Steilküste, östlich von Marseille aus beginnen. Der Hafen von Cassis hat seinen Charakter und Charme über die letzten Jahrzehnte hinwegretten können. Es ist hier einfach zauberhaft, die Zeit scheint 1970 stehen geblieben zu sein. Das liegt auch daran, dass man zum Hafen hinunter nur zu Fuß oder mit einer touristischen Kleinbahn gelangen kann. Autos fehlen als Erinnerung an das 21. Jahrhundert fast völlig.

Für die Beschreibung der Küste gibt es einmal mehr nur Superlativen. Man muss sie selbst erlebt haben. Leider fing es gegen Ende der Bootsfahrt zu regnen an und wir kamen alle nass in die Kleinbahn und den Bus zurück. Seltsamerweise schien auch das niemanden ernstlich zu stören und wir waren auch schnell wieder trocken. Doch leider war unser Zeitplan ins Rutschen geraten und auch unser Mittagessen war ins Wasser gefallen. Für Franzosen eigentlich eine Katastrophe, aber auch das wurde klaglos hingenommen und schadete nicht der guten Laune.

Und so ging es weiter nach Aubagne, dem Geburtsort des Schriftstellers, Theater- und Film-

Produzenten Marcel Pagnol, einer der wichtigsten französischen Kulturgrößen und nach Frédéric Mistral die bedeutendste Identifikationsfigur für die Provenzalen. Für uns Deutsche eine neue, nahezu unbekannte Welt. Wem von uns Deutschen, ist schon bewusst, dass die Provence seit Otto dem Großen Jahrhunderte lang ein Teil des Heiligen Römischen Reichs war. Als letzter deutscher Herrscher ließ sich Kaiser Karl IV. In Arles krönen.

Aber zurück zu Marcel Pagnol, was für Paul Cézanne und seine Arbeit der Sainte-Victoire gewesen war, bedeutete Pagnol der Garlaban. Er schrieb über sich : „ich bin in der Stadt Aubagne geboren, unter dem von Ziegen gekrönten Garlaban, zur Zeit der letzten Ziegenhirten“ und dann weiter: „ Der Garlaban ist ein riesiger Turm aus blauem Felsen...Er ist noch kein Berg, aber er ist auch kein Hügel mehr: er ist der Garlaban, wo die Späher des Marius Reisigbündel anzündeten, als sie im Dunkel der Nacht auf dem Sainte-Victoire Feuer aufflammen sahen: der rote Vogel flog in der Juninacht von Hügel zu Hügel, bis zum Felsen des Capitols, um Rom zu verkünden, dass seine Gallier in der Ebene von Aix hunderttausend teutonische Barbaren erschlagen hatten.“

Mit diesen Ereignissen ist unsere germanische Welt des Nordens im Jahr102 v. Chr. in das Licht der Geschichte getreten.

Wir hatten wieder einen ereignisreichen Tag voller unterschiedlicher Eindrücke erlebt, der nun nahtlos in den Abschiedsabend übergehen sollte. Und wie bereits am Abend zuvor war die Stimmung umwerfend. Franzosen ohne Deutschkenntnisse schafften es irgendwie mit Deutschen, die kein Französisch sprachen, zu kommunizieren. Völkerverständigung in Reinkultur, wenn es denn sein musste auch mit Händen und Füßen.

Geschichte, Kunst, Kultur und Natur, die beeindruckenden Landschaften der Provence sind ein Feuerwerk ganz unterschiedlicher Eindrücke. All das durften wir vier Tage lang in vollen Zügen genießen. Ganz zu schweigen von den uns gebotenen kulinarischen Höhepunkten, der Freundlichkeit und Gastfreundschaft der Menschen. Es war ein Erlebnis. Wir sind mit dieser Fahrt wunschlos glücklich und zufrieden. Carpentras, wir lieben dich!

An dieser Stelle sollte man noch einmal in Barbaras Chanson Göttingen hineinhören. Bliebe nur die Frage, ob in die deutsche oder die französische Fassung? Aber, warum nicht in beide? Jede ist eigenständig und hat ihren eigenen Reiz. Genauso wie unsere beiden Länder.

Doch zum Schluss muss nun noch einmal ein besonderes Dankeschön an Christian Barry und seine ACFA ausgesprochen werden. Ohne ihn und seinen Einsatz wäre die ganze Reise überhaupt nicht zustande gekommen. Solch eine Reise will aber auch finanziert sein und so geht unser Dankeschön auch noch an eine offizielle Stelle, die Projekte mit dem Ziel uns Deutschen und Franzosen einander näherzubringen fördert und uns bei unseren Begegnungen Hilfestellung gibt, der DEUTSCH-FRANZÖSISCHE- BÜRGERFONDS.